Texte

RICHARD KLAMMER

„Die Bewohner der Großstadt wohnen in übereinandergestellten Schachteln.“ Dieser Satz entstammt der 1957 erschienen Schrift  „La Poétique de l´éspace“ des französischen Philosophen Gaston Bachelard, die 1975 mit dem Titel „DIE POETIK DES RAUMES“ auch in deutscher Übersetzung verfügbar war. Bachelard, 1884 geboren und 1962 in Paris verstorben, entwickelte sein philosophisches Denken im Zusammenspiel von Wissenschaft und künstlerischer Imagination, die er zwar als unterschiedliche Methoden definierte, ihnen jedoch gleichwertigen und einander ergänzenden Rang zumaß. Nicht jene Theorie schien ihm die beste, die die Realität auf die einfachste Weise zu erklären suchte, sondern die, die versucht, den Phänomenen in ihrer tatsächlichen Komplexität gerecht zu werden.

Er entwickelt unter anderem ein „Dreistadiengesetz des wissenschaftlichen Geistes“:

1. Die konkrete Stufe: der Geist erfreut sich hier der ersten Bilder der Erscheinungen und stützt sich auf eine philosophische Literatur, die die Natur verherrlicht und auf wundersame Weise zugleich die Einheit der Welt und ihre reiche Vielfalt besingt.

2. Die konkret-abstrakte Stufe: der Geist trägt hier geometrische Schemata an die physikalische Erfahrung heran und stützt sich auf eine Philosophie der Einfachheit. Der Geist befindet sich noch in einer paradoxen Lage: Er ist sich seiner Abstraktion umso sicherer, je deutlicher diese Abstraktion sich ihm in einer sinnlichen Anschauung darstellt.

3. Die abstrakte Stufe: der Geist unternimmt hier Erkundungen, die sich der Anschauung des realen Raumes eigenwillig entziehen, die sich eigenwillig von der unmittelbaren Erfahrung lösen und sogar in offenem Widerspruch zur stets unsauberen, immer gestaltlosen primären Realität stehen.

Aus seiner weiterführenden „Phänomenologie der Seele“ kann die Formulierung, die Bachelard auf die Dichtung bezogen hat, ebenso auf ein Schaffensgebiet der bildenden Künste übertragen werden, auf die Malerei:

„Malerei ist von einer essentiellen Neuartigkeit und Aktualität. Einem Intellektualisieren soll ein Nacherleben im Bild entgegengestellt werden. Nur so kann das poetische Bild im Betrachter einen Widerhall erzeugen, im Betrachter selbst Wurzel schlagen. Die Folge: Der Betrachter partizipiert an der Kreativität des Malers und wird so selbst in seinen Träumereien schöpferisch aktiv.“

Dieses kurz angerissene Denkgebäude des französischen Philosophen kann wie eine Handlungs- oder ein Wahrnehmungsratgeber für die „POETIK DES RAUMES“, die der Serie FREMDE VERKEHRSORTE von Richard Klammer inne wohnt, gelesen werden. Und zwar für beide Seiten, als theoretische Arbeitsgrundlage für den Maler, aber ebenso als praktische Anleitung für die Bildbetrachtung der FAVELAS.

Wenn eine – unter vielfältigen – Tendenzen in der jüngeren Malerei festzustellen ist, dann jene, daß sie sich wieder zunehmend dem Naturalistischen, dem Figurativen zuwendet und mit surrealen Elementen, oft ausschweifender Narration und Verfremdung arbeitet. Auch die Malerei Richard Klammers ist geprägt von einen ausgesprochenen Hang zum Motiv, welches er, hat er ein „Thema“ gefunden, virtuos in malerischer Könnerschaft und facettenreicher Variation durchspielt.

Schon Klammer`s Landschaften, die FREIEN WASSER, die mittels abstrakter Farbkompositionen und dem gezielten Einsatz von bildnerischer Unschärfe beim Betrachter die Assoziation von Landschaft hervorzurufen wussten, oder die BERGE, quasi als Portait angelegt, aber ohne Portrait eines realen Berges zu sein und schon gar nicht „en plain air“, altväterlich mit Staffelei und Sonnenhut unter freiem Himmel entstanden, machen klar, dass das Motiv bei Richard Klammer eine andere Bedeutung hat. Die malerische Darstellung zeigt keine Landschaft, sondern der Maler formuliert in seinen Bildern quasi die „Idee der Landschaft“.

In der Serie BAROCK widmet sich der Künstler mit bestem malerischen Können der traditionellen Illusionsmalerei, weiss himmlische Farbenspiele auf die Leinwand zu zaubern – und lässt durch jede dieser wunderbaren Himmelserscheinungen aus Wolken und Licht ein ziemlich zeitgenössisches Flugobjekt sausen. Jets und Hubschrauber fliegen gegen das barocke Weltheater an und holen uns abrupt in die Gegenwart zurück.

Noch eine Werkreihe, COW genannt, die hinreissende Serie der Kühe. Wieder das Spiel mit dem malerischen Genre des Portraits. Diesmal aber ist die Kuh als portaitwürdig entdeckt, stolz trägt sie ihren Festtagsschmuck, die Queencow, poppig kommt die Space-Cow daher, fixiert den Betrachter mit ihrem Blick und ist umschwärmt von Sterngebilden und sphärisch bunten Kugelblasen, die Stall- und Weidenvieh in surreale Bildwelten erheben und ihnen wahrhaft eine Persönlichkeit verschaffen.

An keiner Stelle jedoch scheint der Maler verharren zu können und ein gefundenes Motiv bis zur Ermüdung ausreizen zu müssen. Dafür ist der Blick, das Wahrnehmen neuer möglicher Experimente zu offen, dafür springt Richard Klammer wahrscheinlich zu rege zwischen seinen verschiedenen Aktionspodien hin und her. Im Atelier der Maler, auf der Bühne Musiker in verschiedensten Formationen, als Mitglied der KunstSportGruppe hochobir Künstler, Musiker, Produzent, Filme machen, Platten einspielen, Produktionen in unterschiedlichster Gruppendynamik.

Und dann irgendwie so zwischendurch und irgendwo per Zufall ein Foto, das auf dem Kopf steht und deshalb von Raumgefühl und Schwerkraft enthoben scheint und trotzdem Raum assoziiert – eine Favela in Brasilien. Der kurze, wohl hochfaszinierende Moment reicht aus, um ein neues malerisches Experiment zu beginnen.

FREMDE VERKEHRSORTE heissen die neuen Bilder zu Beginn und konstruieren Architekturen, die sich in verschachtelter räumlicher Dichte über unsichtbaren Topografien stapeln, scheinbar reale Situationen – die konkrete Stufe des Bachelard`schen Denkmodells.

Aber es sind keine Abbildungen von real existierender Wirklichkeit, es gibt kein reales Vorbild, welches malerisch auf der Leinwand, gleich einem Portrait, einer Stadtansicht festgehalten wird. Die Bilder sind Konstruktionen, Kompositionen, einzelne Elemente sind deutlich erkennbar, Volumen, Gebäude, Fenster, Material. Aber es beginnt ein Spiel mit dem Raum, mit Dichte, mit Perspektive, mit Bildraum. Zweidimensionalität spielt mit Dreidimensionalität – die konkret-abstrakte Stufe.

Das Auge beginnt zu forschen, Raum wird sinnlich erlebbar, der Betrachter wechselt innerhalb eines Bildes mehrfach seine Blickposition, hat mal die Frosch-, mal die Zentral-, mal die Vogelperspektive inne, ein Spiel mit der Wahrnehmung, eine eindringliche Erzählung über Raumwahrnehmung und bildnerischer Raumkonstruktion. Die Malerei, die Farbe dient dazu, die räumliche Komposition zu überhöhen, dunkle Farben geben Tiefe, helle Licht und Höhe und eine Illusion von Material. Es gilt, das Motiv und die beabsichtigte Wirkung des Bildes mit allen zur Verfügung stehenden malerischen Mitteln zu Perfektion zu treiben, um genau im selben Moment wieder deutlich zu machen: Dies ist ein Bild – die abstrakte Stufe.

Das an sich und die Bilder der FAVELAS, die seit 2009 entstanden sind, wären schon eine künstlerische Leistung, die sich allgemeiner Anerkennung erfreuen dürfte. Scheinbar jedoch, entwickeln die FAVELAS ein Eigenleben, dem sich der Künstler nicht entziehen kann. Die FAVELAS streben in den realen Raum. Die illusionistisch angelegte Dreidimensionalität im flachen Bildraum der Leinwand scheint dieselbe zu sprengen und geht in Raumformationen über. Dem Entstehungssprinzip der informellen Städte vergleichbar, baut der Künstler Welten und überführt die elementaren Fragen der Malerei in ein Raumgefüge von neuer plastischer Dimension.

Wie die realen Favelas die grössten südamerikanischen Metropolen und die Megacitys dieser Welt wachsen lassen und vielen Menschen Behausung bieten, so bemächtigen sich die neuen Favela-Konstruktionen von Richard Klammer des Ausstellungsraumes.

Der Bildraum wird zum Relief bis hin zum 1:1 Modell für die Video-Performance. Die FAVELAS generieren nicht zur realen Behausung, transportieren aber über das Hineinwachsen in den Raum ein weiteren Inhalt, der den Künstler eben auch interessiert: Der soziale Aspekt zeitgenössischen Kunstschaffens, der mit den Arbeiten in den Galerieraum transportiert wird. Die informellen Städte entstehen ohne eigentlichen Grundbesitz, sie tragen den Moment der Anarchie in unser geregeltes durchorganisiertes gesellschaftlichen Leben. Sie scheinen etwas Zufälliges, Unkontrolliertes, Unkontrollierbares zu haben, aber auch Freiheit in sich zu tragen, ebenso eine Form von Absurdität, ja Humor.

Das alles, die künstlerische Virtuosität, der Erfindungsreichtum, das malerische Können, die handwerkliche Umsetzung, die Wahrnehmung und das Herausarbeiten dieser besonderen Ästhetik des einfachen Materials, das soziale gesellschaftliche Moment – das alles steckt hier in diesen Arbeiten von Richard Klammer und formieren sich damit zu einer ganz eigenständigen und aktuellen künstlerischen Position.

MMR, 12.Juli 2011
rittergallery, Burggasse 8, A – 9020 Klagenfurt
www.rittergallery.com

 

SOLIST FÜR DIE FREIHAUSGASSE GESUCHT…
und gefunden in RICHARD KLAMMER für die ab 8. Juli in Villach stattfindende Ausstellung seiner neuen Werke unter dem Titel solist is lost. Die Trompete lässt er zu Hause, dafür leert er die Wände seines Klagenfurter Ateliers und zeigt erstmals eine Auswahl neuer Arbeiten der letzten Zeit.
Beeindruckend die große Himmelsbilder mit Flugzeugen und Helikoptern und ganz neu – und noch nie gezeigt – eine Serie in verschiedenen zum Teil großen Formaten von Favelas, auch Shanty Towns, oder Armenviertel genannt. Bilder die in ihrer Eindringlichkeit und gekonnten Malweise neben der primären Assoziation auch einen hohen ästhetischen Wert haben. Großformate die einen Hauch von Slumdogmilionaire- Atmosphäre in all ihrer Farbenpracht und architektonischen Fragilität zu Schau stellen. Da sind große malerische Gesten nicht gefragt, sondern konzentrierte Pinselarbeit und sensibles Farbfeeling lassen diese Stadtansicht fast so schnell wachsen wie ihre realen Vorbilder.
Klammers große Obsession der letzten Jahre, die Beschäftigung mit dem Thema Wasser, darf natürlich in der Ausstellung nicht fehlen. Wasseroberflächen mit hintergründigem Blick in die
Tiefe und allem was notwendig ist um im Bild zu versinken sind ebenso zu sehen wie ein Raum im Keller der Galerie, der den Gemeinschaftsarbeiten der Kunstsportgruppehochobir gewidmet ist, deren Motor und Kommunikator der Künstler ist.
Erstaunlich – allerdings, wie nicht anders erwartet bei so einem Multitalent – ist die Vielfalt der einzelnen Werkgruppen, die scheinbar unabhängig voneinander existieren können. Jedoch alle haben eines gemeinsam: die Lust Richard Klammers am Arbeiten, den Wunsch sich nicht selbst zu reproduzieren und nur die allerbesten Fähigkeiten eines zeitgenössischen Malers.

Ulli Sturm

 

Die Arbeiten Richard Klammers sprechen eine klare Sprache und weisen ihn als einen Künstler aus, der sein Metier beherrscht. Die Umsetzung von Realitäten in Kunst vollzieht er mit charakteristischer Handschrift und technischer Perfektion. Sie belegt nicht nur seine kompetente Handhabung von Methoden, Mitteln und Materialien beim Malen und Zeichnen, sondern auch seine umfassenden Kenntnisse über Komposition, Bildaufbau, Modulation von Farbtönen etc. Darüber hinaus aber basiert der künstlerischen Mehrwert der Bilder auf Klammers Kunst- und Wirklichkeitsverständnis, das Maß an realen Verhältnissen nimmt und in konkreten Bildern seinen Ausdruck findet. Es schlägt sich nieder im souveränen Umgang mit den klassischen Traditionslinien der bildenden Kunst, die Klammer höchst eigenwillig weiterführt. Das zeitigt Formstrenge und Gegenstandsgenauigkeit die gerade deshalb Leidenschaftlichkeit nicht ausspart.
Klammers künstlerische Position und Entwicklung ist in Arbeiten aus jüngerer Zeit deutlich aufzuspüren. Beispielhaft in den Serien „Barock“ (2009) und „Favelas“ (2010).
In den Bildern die dem Werkkomplex „Barock“ zugeordnet sind, greift Klammer auf einen Topos barocker Malerei zurück: Himmelsbilder. Als Wolkenbilder in Wissenschaft und Kunst zuhauf anzutreffen, sind sie in Natura ganz einfach so, in den prächtigsten Versionen, vom Firmament herunter zu schauen. Vom Himmel, der seit je Projektionsraum für eine überirdische Realität ist. Wolken darin halten her für die Deutung von Verhüllung, Verfinsterung oder Freude und Wohlwollen des Himmels. Besonders als Inszenierungselemente des barocken Welttheaters. Letzterem verdingt sich Richard Klammer in dieser Serie in besonders großen Formaten.
Ein Farb-und Formkosmos, generös gemalt, tut sich auf in beeindruckenden Formationen von bevorzugt Schleier-, Schicht- oder Haufenwolken. Losgelöst von den Klassifikationen des Wolkenatlas und zu freien Wolkenstrukturen transferiert, generieren sie ein eigenes abstraktes Bildkonzept. Allein, wo im barocken Bild Englein herumfliegen oder sich andere Figuren aus dem Mythenkabinett tummeln, brummt bei Klammer ein Flugzeug oder Hubschrauber. Es sind Fixpunkte, die dem umtriebigen Wolkengeschiebe räumliche Tiefe geben. Näheres Hinsehen verrückt die Wolkenwirklichkeit ins Fiktionale. Klammers Kunst rechnet mit dem Sehen des Übersehenen. Er konstruiert damit einen Spannungsbogen vom Himmel als gewaltige Naturerscheinung, den sich der Mensch als Flugraum erobert hat, hin zum Himmelszelt als unendliches Dach für eine übersinnliche Welt. Er trifft damit recht genau die „Welt-anschauung“ der Barockzeit, bei dem die wissenschaftliche Rationalität bei der „Entzauberung der Welt“ (Max Weber), schwer mit einer metaphysisch motivierten, mythischen Wolkenleserei rang. Klammer artikuliert den barocken Unterbau der österreichischen Mentalität in säkularer Manier. Er öffnet mit Wirklichkeitssinn dem utopischen Möglichkeitssinn Raum.
Die Serie „Fremder Verkehrsort Favela“ bezieht sich vordergründig auf die soziale, politische und kulturelle Situation von Armenvierteln in Südamerika. Klammer bannt den Wildwuchs von Elendsquartieren auf großformatige Leinwände. Was auf den ersten Blick wie ein wüstes Durcheinander von Bauelementen anmutet, gewinnt bei näherem Hinsehen Struktur. Verkürzte Parallel- und Zentralperspektive machen aus den „fremden Verkehrsorten“, die frei von Menschen sind, flache, ausdrucksarme Architekturkomplexe. Ihnen scheint das Fundament zu fehlen. Dass sie in einen leeren, farblosen Himmel wuchern, macht sie nicht anziehender. Bei manchen Bildern reduziert Klammer die Farben auf ganz wenige Skalen und lässt von der Siedlungsansicht ein bloßes Skelett übrig. Er legt das üble Programm städtebaulichen Wildwuchses offen und damit das Chaos in der Ordnung. Wer auf der Folie von Klammers „Favelas“ die heimische Raumplanung und Architekturwüstenei aufzieht, erkennt die Exotik vor der Haustür. Klammers Favelas sind der in Malerei gefasste Satz von Bert Brecht: „Von diesen Städten wird bleiben, der durch sie hindurchgeht – der Wind“.
Da die Wahrheit nicht abstrakt ist, schafft Richard Klammer konkrete Bilder zur Sichtbarmachung der Wirklichkeit.

Dr.Willi Rainer, 2010